Get over it and! Act! Now!

Bei den Diskussionen über Rezo steht dem Verständnis und damit auch seiner Wirksamkeit das Element des „Fremdartigen“ im Wege. Die, die mit der Youtuber-Szene wenig Berührung haben, kommen aus dem Staunen nicht heraus und vergeuden wertvolle Zeit in den öffentlichen Medienräumen damit, medientheoretische Ansätze zu diskutieren anstatt zu erkennen, dass Rezo nur deshalb soviel Erfolg mit seinem „Zerstörungs-Video“ haben konnte, weil er schlicht gesagt hat, was alles falsch läuft und im Zuge dessen auch die Gefahren aufgezeigt hat, die es birgt, wenn alles so weiterläuft wie bisher.

Schön und gut.

Ein Video, das mahnt, jetzt zu handeln und die Gesellschaft den wissenschaftlichen Erhebungen gemäß zu verändern, hat eine riesige Durchschlagskraft und sorgt höchstwahrscheinlich für große Einbußen der CDU bei der Europawahl. 

Genauso schwer, wie die CDU sich bisher mit neuen Medien getan hat, genauso träge und hilflos verläuft die Diskussion über den „Umgang“ mit diesen selben. 

Für mich und für viele andere ist die Sache hingegen ganz einfach:

Rezo gehört zur jüngeren Generation und hat einfach nur gut recherchiert und aufgedeckt, wie mies der Laden läuft und wie inkompetent viele Politiker sind. Er hat es quasi bewiesen. Und bewertet. Und jetzt passieren nur noch lauter logische Dinge: Die Menschen verstehen, dass ihnen die Zeit wegläuft und sie nicht mehr weggucken können und wählen daher lieber die einzige Partei, die sich den Klimaschutz schon immer auf die Fahnen geschrieben hat: die Grünen. Nächste logische Sache: Die CDU fällt jämmerlich durch in diesem Souveränitäts-Test, wie sie auch schon vorher so, so oft in den deutschen Medien durchgefallen ist. Nur eben bisher noch nicht pointiert in einem Youtube-Video gut zusammengefasst. Das bedeutet, in erster Linie ist es nicht die Form, sondern der Inhalt, der hier den entscheidenden Ausschlag gibt. Hätte Rezo sich lauter Sachen ausgedacht, er hätte niemals soviele Klicks bekommen. Er sagt viel Wahres und erlöst uns vom grauen Schleier des angestaubten Medien-Deutschs, sodass wir es endlich selbst kapieren und einem Schauer des Grusels über den Rücken laufen, wenn Sigmar Gabriel nicht mal weiß, was im Ort Ramstein so geregelt wird. 

Nun wäre das alles putzig und nett anzusehen, es fallen jetzt schon Vergleiche mit ’68, alte Menschen fühlen sich nostalgisch erinnert an eine Zeit, in der sie selbst mal für eine bessere Welt auf die Straße gegangen sind. 

Es gibt nur einen sehr entscheidenden Unterschied zu damals:

Uns läuft die Zeit jetzt wirklich davon. "Zeit ist das, was weniger wird", sagte angeblich mal ein alter, deutscher Schauspieler. Und diesen Satz müssen wir verstehen, dringend, dringend verstehen. Wir dürfen uns jetzt nicht damit aufhalten, eine lehrbuchmäßige Medienanalyse am Beispiel Rezo vorzunehmen. Der ist, was er ist und als das spricht er zu uns – in diesem Video nichtmal in seinem eigenen, sondern im Namen von uns allen. Kommen wir schnell über seine blauen Haare, seinen Slang und seine Basslines hinweg und wenden wir uns schleunigst dem zu, was er uns hier alles auftischt, nämlich, dass unsere Zukunft als Menschheit gerade von einem Haufen Vollidioten zugunsten einiger, weniger Konzerne verspielt wird, die mit Dingen ihr Geld verdienen, mit denen man früher oder später eh nichts mehr wird verdienen können. Man könnte fast meinen, die CDU und die SPD hätten überall Verwandte in der Kohle-Industrie – nur mit der Sentimentalität einer Familie ist es mir vielleicht noch erklärlich, im Jahr 2019 in eine so irrationale Richtung wie die Kohleindustrie zu schachern. 

Jede Minute berichten Medien über die Frage, ob AKK sich jetzt selber ins Bein geschossen hat oder nicht. Da kann man schonmal verzweifeln. Na klar hat sie das. Wäre sie bei den Souveränen, Schlauen, Guten, wäre Rezos Video, was all den Mist in ihrer Partei aufdeckt ja gar nicht notwendig gewesen. Aktion von Rezo und Reaktion der CDU sollten wir jetzt einfach mal hinnehmen als normale Dynamik des Untergangs einer großen „Volks“-Partei. Das ist alles gegeben, das steht alles zwischen den Zeilen in den Überschriften „Youtuber“ und „CDU“ schon drin. 

Was jetzt wirklich guter Journalismus wäre, der checkt, dass es hier tatsächlich um die Wurst geht, wäre, sich die Wissenschaft zu schnappen und an jeder Stelle, in jedem kleinen DLF-Podcast und in der Tagesschau und den großen Tageszeitungen ein Szenario zu verbreiten, wie es ganz realistisch auf uns zukommen wird, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze nicht einhalten werden. Ein Journalismus, der Bürger aufruft, nicht mehr zu mit dem Flugzeug zu fliegen, kein Fleisch mehr zu essen und das Auto so oft es geht stehen zulassen wäre der Journalismus, den die Menschheit jetzt bräuchte. Tendenziös oder nicht, hier geht es, wie Rezo ganz richtig bemerkt, längst nicht mehr um eine politische Meinung, sondern um unsere Zukunft und um flächendeckende Aufklärung in Sachen Erderwärmung. 

Außerdem müssen wir jetzt nicht mediale Werkzeuge diskutieren, sondern nachhaltige Energiegewinnung. Wir brauchen so viele positive Beispiele wie irgendwie möglich, damit wir als Gesellschaft unseren Wirkungskreis erkennen und endlich nutzen. Realistische Alternativen zu dem Leben, was wir bisher geführt haben müssen her. Und zwar schleunigst. 

Wenn die deutsche Medien-Landschaft jetzt nicht auf den Zug der Wissenschaft aufspringt, muss sie sich bald selbst viel mehr vorwerfen als nur, „nicht zeitgemäß“ in der Klimakrise gehandelt zu haben. 

Neun Jahre sind nichts. Der Klimareport kam im Oktober 2018. Das ist ist fünf Monaten schon wieder ein Jahr her.